Die Geburt der fabelhaften Verlaufboys

Das Leben ist eines der härtesten…“ rief Carsten Oliver zu und lief los in Richtung Sonnenuntergang…

Naja, so oder so ähnlich könnte man es anfangen, wenn man es dramatisch-romantisch beschreiben möchte.
Mir liegt die schonungslose, ungeschönte, knallharte und manchmal auch traurige Wahrheit etwas näher, also erzähle ich jetzt mal wie es wirklich war…gewesen…sein könnte.

Vor einiger Zeit haben sich die zwei für den 135 Kilometer Spendenlauf zu Gunsten den Kinderhospiz Regenbogenland angemeldet.

Knapp 4 Monate Vorbereitungszeit um die 3 Tagesetappen von 50km / 50km und 35km zu schaffen.
Wie man es von „Herti runs New York“ bereits kennt, wurde diese Vorbereitungsphase sehr gewissenhaft, sagen wir mal, vorbereitet!
Dreieinhalb Monate später folgte auf den theoretischen Teil dann die Praxis – LAUFEN!
Auf einen Trainingslauf mit 6 Kilometern, folgte bereits zwei Tage ein „8er“ und gipfelte am Wochenende in einem Lauf mit sagenhaften 11 Kilometern, da Oliver nach einer Geburtstagsfeier sein Auto in Monheim stehen lassen musste und Carsten mit einem simplen Trick („lass mal schön ein bisschen am Rhein langlaufen“) überreden konnte, ihn zu begleiten. Aufgrund der Ortskenntnis von Carsten und den putzigen Bewohnern Monheims, endete dieser Lauf wie geplant nach 11 Kilometern am Ziel – so gar nicht „fabelhaft“ – klingt eher nach Trainingsfaulheit!

Wovon ich aber eigentlich erzählen wollte, war die kleine Exkursion auf die andere Rheinseite um auf die andere Rheinseite zu kommen, also später, wieder zurück – so war es geplant! Obwohl Carsten ja dachte, es würden 1-2 Runden durch den Benrather Schloßpark. Maximal 10 Kilometer um sich auf eine 50 Kilometer Etappe vorzubereiten? Anfänger! Da müssen locker 12 Kilometer her, verlangte Oliver!
Diese 12 waren also das erklärte Ziel und Carsten war natürlich der festen Überzeugung, Oliver glauben zu wollen 

Benrath 21.07.2015, 19:30 Uhr
Frau Holle wusch Wäsche, die Kissenhüllen sollten für den nächsten Winter strahlend weiß sein.
27 Grad, Waschküchenwetter und unsere zwei Protagonisten wussten, dieser Lauf wird kein Ponyschlecken! Einer der Protagonisten wusste sogar, es werden mehr als die versprochenen 12 Kilometer 

Die Fahrräder, der umweltbewusste Läufer reist mit Muskelkraft an, wurden abgeschlossen und die ersten Getränkereserven vernichtet.
Ein letzter neidischer Blick auf die Personen unten am Rheinuferstrand, die am Lagerfeuer grillten, tranken und lachten.
Die Nippelpflaster saßen an den dafür vorgesehenen Stellen, die Schuhe auch – hätte sonst ja auch albern ausgesehen!

Die ersten Schritte gewohnt eirig, als wäre man mit den Worten „ich kann laufen“ aus einem Rollstuhl gestiegen. Aber auch diese Schritte führten näher ans Ziel.
Knapp 21 Kilometer vor dem Ziel, es waren bereits 100 Meter gelaufen, fing der Schweiß an zu laufen – das Wetter machte mit einem, was es wollte!
Irgendwie läuft sie sich immer raus, diese Schwere in den Beinen. Wenn man beim Laufen erst einmal den richtigen Rhythmus gefunden hat, gleicht es fast einem „schweben“! Das sagen jedenfalls Läufer, die es können oder weniger wiegen oder einfach nur angeben wollen. Carsten und Oliver „schwobten“ also durch Benrath in Richtung der Urdenbacher Kämpe, einem wirklich angenehm zu laufenden Fleckchen Erde, in Richtung Monheim. „Geplant“ war ja nichts, vorbereitet war man auf ALLES, so fast ein wenig jedenfalls. Nach 1,5 Kilometern das erste Hinweisschild mit einer Umgebungskarte und schon wurde die Fähre bei Zons als Ziel auserkoren. Aufgrund der Getränkeaufnahme und der damit verzögerten Abreise, kam man auch pünktlich zu spät an der Fähre an und konnte schon einmal beobachten wie es so aussieht wenn diese zum anderen Ufer übersetzt. Beeindruckend schnell. 200 Meter in 5 Minuten, das kommt einen doch bekannt vor…

Nach 20 Minuten wurde der Lauf auf der anderen Rheinseite fortgesetzt. Immer nah am Ufer entlang, um das etwas angenehmere Klima zu genießen oder um eine Orientierung zu haben. Ufernahe Wege sind aber häufig auch Wege, die durch Felder oder Ausweichflächen für Hochwasser führen. Auf solchen Flächen fühlen sich auch Insekten wohl. Und auch auf schweißnassen Flächen, die schnaufend durch ihre Wohngegend laufen. Diese Insekteninvasion zwingt den Läufer dann auch, den Mund geschlossen zu halten, um nicht zu viele Proteine zu sich zu nehmen. Es war ein ruhiger Lauf…

Bei Kilometer 7,5 konnte man auf der anderen Rheinseite den Start sehen. Carsten, ganz Mathegenie, wusste jetzt auch, dass Oliver sich verrechnet hatte – lügen würde er ja nicht!
Der Lauf sollte also über 15 Kilometer gehen, die Brücke war ja nicht mehr weit, laut Oliver.
Wenn man sich auf unbekannten Terrain bewegt, sollte man sich an Fixpunkten oder anderen unverrückbaren Geländemerkmalen orientieren. Die zwei Läufer hielten den Rhein für ziemlich unverrückbar und entschieden sich dann ab Kilometer 8,5, wo der Laufweg immer mehr zu einem Trampelpfad wurde, einfach ziemlich nah am Rhein entlang zu laufen. Bei Kilometer 9 gab es dann ziemlich unverrückbare Brennessel- und Dornbüsche, die dann nur noch den Weg durch den Rhein zuließen. Da es in den letzten Woche doch recht wenig geregnet hatte und Vater Rhein etwas dünner in seinem Bettchen lag, konnte man quasi über Wasser gehen, so sieht es jedenfalls im Streckenverlauf in der Satellitenansicht aus. Neben dem einfach Dahinfließen, hat so ein Fluss ja nicht viel zu tun den ganzen Tag lang. Also was macht er dann? Richtig! Steine holen…
Diese Steine legt der emsige Fluss dann in sein Bettchen, um Läufer davon abzuhalten, durch dieses zu laufen. Große und kleine Steine machten das Laufen quasi unmöglich, also Handy raus, auf Maps gezoomt, Weg gesucht, Handy eingepackt, Brennesselfeld gesichtet.

Da es mittlerweile 21 Uhr war und noch ein paar Kilometer vor diesen Helden der Wälder und Wiesen lagen, griff Oliver beherzt zu einem Baumstamm. Der war zu schwer…er entschied sich um und nahm einen Ast, da war eine Spinne drauf – weg damit! Das arme Tier…
Doch dann erspähte er einen leichten, angenehm zu händelnden Ast ohne Insektenbefall, reckte diesen in den Himmel und Musik mit einem Engelschor im Hintergrund erklang. Unerschrocken, mit einem markerschütternden Schrei, rannte er, den Ast zum Schutz wie ein Schild vor sich hertragend, los und DURCHBRACH DAS BRENNESSELFELD…lies nach 5 Metern den Stock fallen und rief Carsten zu: „Besorg dir was eigenes“.
Carsten tat es ähnlich, nahm die Arme schützend vor seinen Oberkörper (albern, da die Nesseln nur bis zur Hüfte gingen) und rannte mit spitzen Schreien los, um sich dann wild schimpfend auf die andere Seite des Brennesselfeldes zu machen. War gar nicht so schlimm und soll ja gegen Rheuma helfen oder so. Auf dem Streckenverlauf von Runtastic, ist dieser Abschnitt als einziger ROT gekennzeichnet, ROT steht für „unglaubliche Geschwindigkeit“ und kommt somit Zeitreisen gleich!
300 Meter durch eine Sumpfwiese und schon hatte man schon wieder Teer unter den Füßen. Teer jetzt nicht, weil Carsten gehustet hatte, NEIN – eine Straße! Maps hatte nicht gelogen und Oliver hat eins und eins zusammengezählt – verlaufen will gelernt sein!

Die geteerte Straße schien sich zu bewegen, in Wellen, ja fast in einer Art Rauchwolke –FLIEGEN!
Wer einen Frosch ins Schlaraffenland bringen möchte, setzt ihn doch bitte einfach dort ab. Keine Rinder, Pferde oder andere Viecher. Nur zwei Läufer! Das hatte sich unter den Fliegen natürlich rumgesprochen und alle kamen herbei, um etwas von dem salzigen Schweiß zu naschen, oder einfach nur mal so ins Gesicht zu fliegen.
Don Quijote gleich die Fliegen bekämpfend, liefen die zwei durch das Hinterland und entfernten sich immer weiter vom Rhein. Durch das andauernde Fliegen klatschen konnte Carsten sogar den Rekordhalter (das tapfere Schneiderlein) vom Thron schubsen und 9! auf einen Streich erlegen.
Wie so oft, wenn man sie braucht, sind natürlich keine „offiziellen“ vor Ort und der Rekord bleibt ein inoffizieller – Carsten, wir sind trotzdem stolz auf dich und die Gedenktafel mit den 9 Fliegenköpfen in deinem Wohnzimmer sieht echt TOP aus!

Die Freude über die geteerte Straße währte 1237 Meter und endete an einem abgeschlossenen Tor und einer Umzäunten Sumpflandschaft hinter einem umzäunten Campingplatz.
Nach 11,3 Kilometern war an eine Umkehr natürlich nicht zu denken. Ein Loch im Zaun und ein lächerlich kleines Brennesselfeld machten den Weg frei für einen erneuten Gang über die Felder, immer in der Hoffnung nicht, in irgendwelche Schlagfallen oder ähnliches zu treten. Es war ja nicht bekannt, warum das Gelände eingezäunt war, noch nicht….
Wieso war dieses Sumpfgelände einzäunt? Damit der Rhein bei Hochwasser nicht die Wiese überschwemmt? Der kleine Feldhamster nicht beim korpulieren gestört wird? NEIN – die züchten da von irgendeiner geheimen Regierungsorganisation TABANUS SUDETICUS – ja, richtig gelesen SUDETICUS, nicht BOVINUS! Diese blutrünstigen Vertreter aus der Familie der Tabanidae die ja merklich größer als ihre grünlichen Verwandten (Bovinus) sind, überfielen Carsten und Oliver als sie sich schon in Sicherheit wiegten. Wobei Carsten wohl mehr Pheromone verstreut, eigentlich saßen sie nur auf ihm…

Da Oliver ein sehr mitteilsamer Mensch ist, hat er Carsten natürlich auf seine Mitreisenden hingewiesen. Carsten neigt in solchen Momenten etwas zur Hektik und redet etwas schnell und undeutlich, daher ist nicht genau überliefert, was er gesagt hat, aber seinem Rumpelstielzchen nicht unähnlichen Tanzstil nach zu urteilen, war er mit der Gesamtsituation unzufrieden…
Wieder griff Oliver heldenhaft ein und verjagte das Brachycera Gesindel mit gezielten Schlägen. Hätte er doch nur nicht den Ast weggeworfen.
10 Sekunden später das das gleich Spiel und die Schrittgeschwindigkeit wurde erneut auf ein Maximum erhöht.
Dank dieses Zwischensprints gelangen die zwei wieder auf die Straße und somit in die Zivlisation.
Da Carsten ein sehr Wissensdurstiger Mensch ist, fragte er auch gleich mal nach dem kürzesten Weg zur Fleher Brücke, es waren ja erst 12 Kilometer zurückgelegt und die letzte 3 davon in nicht wirklich kürzester Zeit.
Der Empfehlung den, Bus zu nehmen sind die beiden dann nicht gefolgt und schon befand man sich weiter auf dem Weg nach Norden oder Osten, so mit einem leichten drall nach Süd-West.
Somit entfernte man sich umwegehalber etwas vom Rhein, um dann nach Stürzelberg wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Die ohnehin schon zu knapp bemessenen Getränkevorräte von Oliver (Carsten hatte sein Wasser gleich am Fahrrad gelassen), gingen zur Neige und so kam ein Sushi Restaurant am Kreisverkehr auch sehr gelegen. Zwei Apfelschorlen später, dummerweise mit Kohlensäure, ging es blubbernd weiter in Richtung „da hinten muss es sein“.
Eine nette Dame mit Hund zeigte den zweien dann erneut den kürzesten Weg zur Bushaltestelle, aber mittlerweile war auch Carsten klar, ohne auf die 21,1KM zu kommen, lässt Oliver nicht los…

Die Schritte wurden immer schleppender, das Klima dafür angenehmer. Die Sonne verschwand so langsam mit einem leuchtend roten Feuerwerk am Abendhimmel. Uedesheim hat bestimmt auch schöne Ecken, aber für diese hat man keine Augen, wenn man versucht, eine Brücke auf die andere Rheinseite zu finden. Bei Kilometer 15 konnte man die Zielbrücke sehen, ca. 2 Kilometer bis dahin, laut Oliver. Grund genug, einen weiteren Schlenker vom Rhein weg zu machen und einen weiteren Umweg in Kauf zu nehmen, sind ja nur 2,5 Kilometer.

2 Mini Gläser Apfelschorle für 8,90 Euro kann man mal trinken, vor allem, wenn man so einen tollen Blick auf das erklärte Ziel hat – die Brücke, schätzungsweise 2 Kilometer entfernt…
Es ist wirklich nicht schlau, so spät am Abend eine „Wanderbrücke“ als Ziel für einen Lauf zu nehmen, die wandert ja immer weiter weg!
Die Sonne war mittlerweile fast gänzlich im roten Farbenmeer….fast weg, da griff Oliver beherzt zum Telefon – nur noch 12% Akku!
Natürlich wusste er sofort, was er zu tun hatte Er wählte und am anderen Ende der Leitung erklang eine vertraute Stimme…echt doof für seine Frau, dass sie sich gerade zum Schlafen hingelegt hatte.
Sie machte sich auf den Weg und Carsten und Oliver liefen zum vereinbarten Treffpunkt im Nirgendwo…irgendwo auf dem Feld unterhalb der Brücke, die man in knapp 2 Kilometer Entfernung erahnen konnte.

Olivers Handy verabschiedete sich mit einem leisen piepsen als er die Strecke kontrollieren wollte, sie waren fast abgeschnitten von der Außenwelt, die finstere Nacht umhüllte ihre dehydrierten Körper und mit einem Blick auf das Handy von Carsten war ihnen eines klar – MIST! Da fehlen noch 800 Meter bis zum Halbmarathon.
Wenn man sich ein solches Ziel gesetzt hat, will man es auch erreichen. Also Schultern zurück, Oberkörper gerade und los…400 Meter nach links, 400 Meter zurück…21,1 Kilometer auf der Uhr, STOP-Taste drücken, zu Boden sinken und auf das Moni-Taxi warten….es kam pünktlich!

-oh

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